PONT DE LUMIERE, 2005

musique visuelle

Der neue Universitäts-Campus auf dem Plateau de Pérolles in Freiburg umfasst drei Neubauten des Architektur- und Planungsbüro B in Bern. Sie werden durch einen lang gezogenen Platz miteinander verbunden, der zu einem zentralen Begegnungsort für die Studierenden werden soll.

Die Kunst im oder am Bau darf hier traditionellerweise ein Standbein haben, bezieht man dies auf den Usus von Stadt, Kanton oder Bund, einen gewissen Prozentsatz der Bausumme in die Kunst zu investieren. Zeitgenössische Kunst & Bau werden als Spannungsfeld verstanden, das sich einem weiterführenden Diskurs öffnen soll.

Das neu entstandene, fast 200 m lange Spannungsfeld wird von der Installation PONT DE LUMIÈRE der Genfer Künstlerin Anne Blanchet belebt. Insgesamt 18 rot lackierte, jeweils 5 Meter lange Barrieren, fixiert auf roten, 350 cm hohen, rechteckigen Säulen akzentuieren den lang gestreckten Verbindungsweg. Jede Barriere spielt ihre eigene „Musik“. Jede Barriere, in ihrem eigenen Tempo und zu einem anderen Zeitpunkt, hebt an zur Vertikale und fügt sich zurück in die Horizontale, um wieder anzuheben. So ergibt sich im Ganzen ein „Barrierenballet“ das, einer vorbestimmten Choreographie folgend, dem Raum mit roten Linienstrukturen ein anderes Leben verleiht. PONT DE LUMIERE findet ihre Vollendung während der Dämmerung und in der Nacht: die weissen Neonröhren, die an den Barrieren fixiert sind, beleuchten, mit ihrer stetigen Bewegung, einen anderen Aspekt ihres Umfeldes, setzen Akzente und ermöglichen vielfältige Licht- und Schattenbilder. In der Gesamtheit ergibt sich ein allseitig bewegtes Leuchtgebilde.

Unterschiedliche Choreographien mit verschiedenen Tempi, Anne Blanchet nennt sie „Musiques Visuelles“, hat die Künstlerin für dieses Werk geschaffen, wobei die Variationsbreite im jeweiligen Anheben und Zurücksinken zwischen 10 und 180 Sekunden variiert. Es findet sich ein langsames, zuweilen kaum wahrnehmbares Werk, ein dynamisches, mit Betonung auf die Öffnung und ein geradezu schnelles Werk, das die frischen Energien weitertreiben soll, usw. Pausen - Stille wird zuweilen eingesetzt. Es ist möglich, dass während 15 Minuten die Barrieren „verstummen“, um unvermittelt wieder den Dingen ihren Lauf zu lassen, den Blick hypnotisieren und die Seele beruhigen. Drei mal pro Tag, um 8 Uhr, um 12 Uhr und 16.30 Uhr kann man alle Stücke, eines nach dem anderen „gespielt“,bewusst erleben.

Barrieren verweisen auf Grenzen und gebieten ein Innehalten. Der Raum öffnet sich, bis eine folgende Barriere den Raum wiederum verschliesst. Allmählich wird ein Raum nach dem anderen erforscht. Grenzen werden ausgelotet und Grenzen können zugunsten neuer Räume errichtet werden oder aber verschwinden, bis die allerletzte Grenze des Lebens erreicht wird. Danach führt der Raum ins Ungewisse.  

Mit diesem, im ersten Augenblick absurd anmutenden, auf den zweiten Blick, da ihrer ursprünglichen Funktion enthoben, symbolträchtigen Spiel von Öffnen und (Ver-)Schliessen, Eintreten und Austreten, Empfangen und Abweisen, widmet sich Anne Blanchet der grundlegenden Erforschen von Raum - ein Themenbereich, den die Künstlerin bereits in früheren Arbeiten schöpferisch umkreiste: Erwähnt seien mit punktuellen Lichtern versehene Barrieren, hintereinander folgende transparente Schiebetüren oder ein Trio automatisierter Falttüren, wo sich jede, ihrem besonderen Charakter oder Willen entsprechend, öffnen und wieder schliessen (Portes 97: Musique Visuelle, 1997, Ouverture Pli, 1999, Passages 99: Musique Visuelle, 1999, Passage de Géronde, 1999-2000).

Gefasst in einem abstrakten, lichtvollen Linienspiel oder als Herausforderung zur Aktion, die Botschaft wird in der unmittelbaren sinnlichen Erfahrung übermittelt.

Esther Maria Jungo