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In ihrer Werkreihe Light Drawings ist es der Genfer Künstlerin Anne Blanchet darum bestellt, die skulpturale Prägekraft des Lichts als mediale Bedingung der Bildwerdung auszuweisen. Ein flüchtiger Blick könnte diese Serie in die Geschichte der konstruktivistischen Experimentalästhetiken und ihren visuellen Elementargrammatiken von Strichen auf der kahlen Leinwand einreihen. Wer jedoch genauer hinsieht, wird nicht nur Striche, sondern auch die Leinwand vergeblich suchen. Denn die Objekte, die dem Betrachter entgegentreten, sind aus massivem, dreidimensionalem Plexiglas.

Nicht die Tiefe ist hier illusorisch, sondern die Flächigkeit. Und dennoch entfalten die teilweise getrübten Plexiglasplatten durch die Linien, die sie durchziehen, eine befremdliche ikonische Räumlichkeit; ständig oszilliert die figurale Anordnung zwischen perspektivischer Vermutung und zweidimensionalem Dass-Sein. Der Betrachter überrascht sich selbst dabei, nach dem Ursprung des seltsamen Schlagschattens zu suchen. Tritt die Materie an dieser Stelle möglicherweise skulptural nach außen? Hat die Künstlerin vielleicht opake Sperrgegenstände in die Materie eingelassen, sodass sich seitwärts und von oben eindringendes Licht darin verfängt? Am Anfang der 90er Jahre, als sie mit Plexiglas, einem in der Regel eher gering geschätzten Material, zu experimentieren begann, interessierte sich Blanchet für die Verdichtungen des Transparenten, etwa als sie die Materie in der Reihe Emergence im Zentrum tektonisch zusammenstoßen und nach außen drängen ließ. Die Gegenständlichkeit, die die Werke aus Light Drawings durch den Schattenhof erzeugen, erwächst dagegen umgekehrt aus einer Aushöhlung der Materie. Mikroskopische, nur von Nahem sichtbare Einschnitte bis an die Bildrückseite durchbrechen den Werkstoff, aber auch das Licht. Am leeren Durchstoß macht es halt, die Raumwirkung entsteht durch die Verschattung einer stofflichen Leere.

Physikalisch betrachtet gibt es in Light Drawings keinerlei Geheimnis, der Bildgegenstand steht mit entwaffnender Blöße da. Und doch entfaltet sich an ihm das Rätsel der Bilderscheinung, es zeigt sich, wie etwas bereits im Sichtbaren seiendes für uns sichtbar wird. Es ist der verkörperte und damit bewegliche Blick, der im Lichte der Beleuchtungsquelle, die ihn ermöglicht, Plexiglasplatten zu einem Bild werden lässt. Der regelrechte »Stoffwechsel« zwischen Materiellem und Immateriellem, der sich hier ins Schwindelerregende steigert, kassiert die bloß materialimmanente Definition von Transparenz und Störung und zeigt, wie Bildlichkeit stets erst im Kreisverkehr von Sichtbarkeitsangebot und der Aufmerksamkeitsschenkung, von ikonischer Darbietung und blickhafter Responsivität aufkommen kann.

Emmanuel Alloa
in Markus Rautzenberg & Andreas Wolfsteiner (Hrsg.) Hide and Seek, & Das Spiel von Transparenz und Opazität (Im Erscheinen) München: Fink.